Ein Flugzeugabsturz und Depressionen

Donnerstag früh, der Tag nach dem tragischen Flugzeugabsturz in den französischen Alpen. Ich werde um 6:30h wach und mache, wie immer, erstmal den Fernseher an. Es liefen die Nachrichten mit den neuesten Meldungen zu diesem tragischen Unglück und ich höre den Sprecher sagen, dass der Co-Pilot das Flugzeug wahrscheinlich absichtlich gegen den Berg gesteuert hat. Ich war plötzlich hellwach, was vor dem ersten Kaffee sehr ungewöhnlich ist. Mein erster Gedanke war nicht, dass es einen terroristischen Hintergrund gab oder ein geplanter Massenmord. Mein erster Gedanke war, Depressionen oder eine andere psychische Krankheit. Eine andere Erklärung ließen meine Gedanken in dem Moment gar nicht zu. Ungewöhnlich? In unserer heutigen Zeit wären andere Gründe doch viel nahe liegender? Stimmt. Aber in dem Fall, für mich nicht. Und im Laufe des Tages wurden meine Vermutungen in den Medien bestätigt.Wieso ich gleich daran gedacht habe? Ich weiß es nicht. Vielleicht haben ja Betroffene, der ich ja bin, eine Antenne dafür. Erklären kann ich das nicht.

Was dann im Laufe der darauf folgenden Tage über Depressionen und andere psychische Erkrankungen, aber insbesondere Depressionen, zu lesen und zu hören war ließ mir teilweise die Haare zu Berge stehen. Plötzlich konnte sich jeder zu Depressionen äußern und jeder kannte sich perfekt mit dieser Krankheit aus. Und was noch viel schlimmer war, jeder wusste auf einmal bestens Bescheid und konnte auch genau sagen, was in einem Menschen mit dieser Krankheit vorgeht. Das auch plötzlich jeder Depressionskranke ein potentieller, rücksichtsloser Suizidaler ist, war nur eine logische Schlußfolgerung der Berichterstattung und der „qualifizierten“ Äußerungen unserer Hobbypsychologen. Ich konnte mir sogar vorstellen, was meine angeheiratete Familie zu meiner Frau gesagt hat, „sei froh, dass du dich von ihm getrennt hast. Der hätte euch noch alle umgebracht.“ HA, beim Schreiben dieser Zeile kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen.

Ich kam mir vor wie zur Fußballweltmeisterschaft, wo wir eine Nation voller klugscheißender Nationaltrainer und Schiedsrichtern sind.

Auch Fachleute und renommierte Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten sind zu Wort gekommen und haben versucht der Nation zu erklären was Depressionen sind und was in einem Menschen vorgeht, der unter Depressionen leidet. Schon mal versucht einem zehn jährigem zu erklären wie wichtig ein guter Schulabschluss ist? Der schlauste wird danach vermutlich sagen, dass er mit einem guten Abschluss Millionär wird. Was zwar möglich ist, aber sehr spekulativ. Zwar möglich aber ziemlich unwahrscheinlich.

Was in einem Depressionskranken vorgeht? Was er fühlt? Wie er denkt? Leute, Leute! Was glaubt ihr, wie einfach die menschliche Psyche zu erklären ist?

Ein guter Freund hat mich mal gefragt, wie sich meine Depression angefühlt hat. Was ich gedacht habe, was ich empfunden habe. Meine Erklärung war ganz einfach. Ich habe ihn folgendes gefragt. „Kannst du mir erzählen, was du empfunden, gefühlt und gedacht hast, als du deine Frau das erste mal geküsst hast? Und zwar so, dass ich das nachempfinden kann und es verstehe? Kannst du mir erzählen, was in dem Moment in dir vorging, genau so, dass ich das nachempfinden kann?“ Seine Antwort war ebenso einfach. Sie lautete „NEIN“.

Mein Psychologe im Krankenhaus, von dem ich immer noch glaube, dass er der beste Psychotherapeut der Welt ist, sagte immer „Herr Radzwill, ich kann ihnen nicht sagen was in Ihnen vorgeht, was sie fühlen oder denken. Das wissen nur sie. Ich kann es nur vermuten. Um das zu wissen, hätte ich von dem Moment ihrer Geburt bis heute jede Sekunde ihres Lebens bei Ihnen sein müssen.“

Das erklärt doch alles. Oder? Und er hatte noch einen sehr weisen Spruch, den ich auch für mich, seit dem, in Anspruch nehme. „Kompetenz ist zu wissen, was man nicht weiß.“

Also hört doch bitte auf, darüber zu spekulieren, was in dem Kopf von dem Co-Piloten vorging. Wir werden es nie wissen. Wir können nur darüber spekulieren.

Doch, natürlich gibt es auch Fakten einer Depression, die sicher sind. Die Symptome, die Begleiterscheinungen, die emotionellen Veränderungen und die Veränderungen der Persönlichkeit. Die Ursachen? Hmm, weiß ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es bei 1.000 Depressiven auch 1.000 Ursachen gibt.

Doch das wichtigste ist, dass unsere Gesellschaft endlich versteht, dass Depressionen eine ernst zu nehmende Krankheit sind und auf jeden Fall professionelle Hilfe benötigen.

Ach nun sind Depressive auch noch potentielle, rücksichtslose Suizidale. Was ist das denn für ein Quatsch? Wir haben 4 Mio. Depressionskranke in Deutschland. Das heißt doch, rein Statistisch, dass es in jeder Familie und in jedem Bekanntenkreis einen Depressiven gibt. Ihr habt eine sehr große Familie oder Bekanntenkreis? Hmmmm, dann könnten es sogar zwei sein? Na, hoffentlich könnt ihr euch auch weiterhin, ohne das ihr Angst um euer Leben haben müsst, mit eurer Familie oder Bekannten treffen. Denkt mal drüber nach. Und dann versucht heraus zu finden wer es sein könnte und helft ihm verdammt noch mal.

Jetzt ist noch herausgekommen, das der Co-Pilot krank geschrieben war. Das er seine Krankheit geheim gehalten hat. Und eventuell noch andere psychische Probleme hatte. Er hat es verheimlicht? Oh, jetzt bin ich aber verblüfft.

Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde. Das er das alles verheimlicht hat und trotz Krankschreibung ein Flugzeug geführt hat, ist unverantwortlich, und es gibt keine Entschuldigung dafür. Das was er gemacht hat ist tragisch und nicht zu akzeptieren. Auch ich sitze bei manchen Berichterstattungen vor dem Fernseher und mir kommen die Tränen. Das was die Hinterblieben in den letzten Tagen durchmachen mussten und die Trauer in ihnen ist unvorstellbar und meine Gedanken sind sehr oft bei ihnen.

Aber, warum hat er es verheimlicht? Hat sich da mal jemand Gedanken drüber gemacht? Ist doch kein Problem in unserer Gesellschaft eine Krankheit zu haben, die sich Depression nennt. Das Verständnis und die Fürsorge unseres Systems ist doch sicher. Schwer Krank werden wir doch alle mal. (ACHTUNG IRONIE!!).

Ironie beiseite. Kann sich jemand vorstellen, dass diese Krankheit teilweise sogar ausgenutzt wird? Ausgenutzt zum Nachteil des Kranken? Das dann plötzlich ein Sündenbock für alle Verfehlungen eines zusammen Lebens gefunden ist. Das die Folge sein kann, unliebsame, kranke Verwandte aus dem eigenen Dunstkreis zu verbannen. Das auf den Schultern eines Depressiven sogar neue Existenzen aufgebaut werden. Ist ja auch einfach. Egal was ist, schuld hat der „Bekloppte“. Ja sogar während seines Klinikaufenthaltes Lügen verbreitet werden damit das neue Leben beginnen kann. Sogar rücksichtslos mit den Gefühlen des Kranken gespielt wird. Und wenn man dann noch einen charakterschwachen Partner hat ……. Leute glaubt mir, ich weiß wovon ich rede. Nachdem ich alles überstanden hatte, stand ich mit einer Reisetasche und nichts anderem auf der Strasse.

Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, ich hätte nie zu meiner Krankheit gestanden. Wahrscheinlich auch bis zu dem Moment, wo ich keinen anderen Ausweg mehr gewusst hätte. Jedoch als mir die Folgen Bewusst geworden sind, habe ich es versucht. Es hat zum Glück nicht geklappt.

Ich kann jeden verstehen, der seine Depression verheimlicht. Unsere Gesellschaft macht es nur schlimmer.

Was der Co-Pilot gedacht hat, als er gegen den Berg geflogen ist? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich in dem Moment des Suizidversuches nichts gedacht habe. Das Hirn ist ausgeschaltet und ganz auf das „Vorhaben“ fokussiert. Ich habe gar nichts gedacht und nichts gefühlt. Nur gehofft, dass die seelischen Schmerzen bald zu Ende sind. Und das höre ich auch von anderen, die schon einen Suizidversuch hinter sich haben.

Also, wie ist es zu diesem tragischen Suizid gekommen und was ging in dem Co-Piloten vor? Was hat er gefühlt, was hat er gedacht und warum hat er das getan? Wir werden es nie erfahren. Wir können nur spekulieren und vermuten. Aber wir werden nie Gewissheit haben.

Das einzige was wir tun können damit so etwas oder so etwas ähnliches nie wieder passiert, ist zu akzeptieren, dass Depression eine schwere Krankheit ist. Das Depressionen keine menschliche Schwäche sind und, dass sich keiner seine Depression ausgesucht hat.

Depressive brauchen Hilfe und Verständnis, keine Ausgrenzung. Dann werden sie auch zu ihrer Krankheit stehen und können sich vorbehaltlos behandeln lassen bis sie wieder gesund sind. Dazu gehört auch Aufklärung in der gesamten Gesellschaft und nicht nur bei Angehörigen von Betroffenen. Denn wenn alle es verstanden haben, kann auch kein Ignorant dummes Zeug erzählen. Und dafür werde ich kämpfen. Ihr auch?

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Erstmal eins vorweg: Ich möchte mit dieser Page kein Aufsehen erregen oder Mitleid oder ähnliches. Nein, ich denke einfach, dass es mir auf diese Art leichter fällt euch ein wenig über Depressionen, das Leben damit und den Umgang mit Betroffenen zu informieren.
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2 Antworten zu Ein Flugzeugabsturz und Depressionen

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